An Weihnachten geht es um eine Kindheitsgeschichte: Die Geschichte des Jesus von Nazareth, von den Christen üblicherweise "der Erlöser" genannt. In der Antike waren Kindheitsgeschichten nichts Ungewöhnliches. In vielen Kulturen wurden über die Herrscher oder Gottkönige Kindheitsgeschichten erzählt. Und diese Geschichten hatten mehrfache Funktionen:
- Sie unterstützten zum Beispiel den Herrschaftsanspruch, insofern sie davon erzählten, dass der Herrschende schon von Geburt an von den Göttern als Herrscher vorgesehen war. (Dies zu hinterfragen oder nach einem Herrscherwechsel zu verlangen, hätte für den einzelnen Bürger bedeutet, gegen den Willen der Götter zu handeln).
- Sie legitimierten die Regentschaft, insofern eine Geburt aus göttlicher Abstammung nicht anfechtbar war (wer würde es wagen, sich gegen einen Gott aufzulehnen!)
- Sie legten den einfachen Mitmenschen auf emotionale Weise ans Herz, sich den bestehenden Verhältnissen nicht zu widersetzen.
Ob das für die damaligen Menschen immer so gut war? Nicht immer waren von den ‚Gottheiten’ auserwählten Fürsten auch sorgsam gegenüber ihrer Untertanen. Missbrauch und Ausbeutung waren nicht unbekannt.
Verglichen mit den üblichen antiken ‚Kindheitsgeschichten’ von Herrschern hat die Kindheitsgeschichte des Jesus von Nazareth (überliefert im Neuen Testament bei den Evangelisten Matthäus und Lukas) einen ganz anderen Charakter:
- Zwar wird Gott als Vater des Jesus genannt, aber sein Kommen in diese Welt macht Gott von der Bereitschaft zum Mithandeln einfacher Menschen abhängig: dem Mitwirken von Maria und Josef. Diese beiden Menschen müssen zustimmen, mit machen - erst dann kann der "Erlöser für die Welt" geboren werden.
- Die Menschwerdung des "Erlösers" geschieht nicht im Rahmen politischer oder religiöser Organisationen, aus denen die Menschen ihren Retter vielleicht erwarten würden: Er ist das Kind einfacher Handwerksleute und nicht der Spross einer hohen Priester- oder Beamtenkaste (dass der Ziehvater Jesu einem alten israelischen Königsgeschlecht entstammte, war damals nicht unbedingt allen klar),
- Über die Ankunft des "Erlösers" für die Welt werden auch nicht zuerst herrschende religiöse und politische Würdenträger informiert, sondern einfachen Hirten - Menschen am relativen Ende der gesellschaftlichen Bedeutungspyramide. (Was es mit den Weisen, den sogenannten Königen, auf sich hat, dazu mehr am 6. Januar!).
Die Menschwerdung des Erlösers setzte also viel Menschliches und viel Einfachkeit voraus. Das unterscheidet von anderen Kindheitsgeschichten!
"Fürchtet euch nicht“, so sagen Gottes Engelsboten den Hirten, "euch ist der Retter geboren“ (so steht es in der Bibel beim Evangelisten Lukas Kapitel 2, Vers 11).
Aber wenn damals der Retter für die Welt geboren wurde, warum gibt es dann immer noch so viel Elend in der Welt? Warum gibt es Hunger, Krieg, Arbeitslosigkeit, Ehescheidungen und Unglück? Warum können wir in vielen Familien denn nicht einmal an Weihnachten in Ruhe und ohne Ärger feiern? Warum nicht wenigstens einmal durchatmen bei heiler Welt und Christbaumkugeln?
Weil wir an Weihnachten eben nicht die heile Welt der heilen Familie feiern! Wir feiern nicht, dass alles schon gut ist, so wie es ist. Wir feiern, dass Gott mit seiner Art der Menschwerdung an Weihnachten in uns wachruft:
- Ihr seid nicht allein und gottverlassen in den Menschlichkeiten und sozialen Tiefen dieser Welt!
- Ihr könnt auch im Kleinen, scheinbar Unbedeutenden Mitgestalten an einer weihnachtlichen, das heißt an einer "himmlischen" Welt!
- Ich bin bei euch, wenn ihr einander liebt, miteinander teilt, einander ermutigt, ... wenn ihr die Welt zum Guten verändert!
Gott hat uns in seinem Sohn Jesus gezeigt, wie diese Welt himmlisch werden kann. An Jesu Botschaft, überliefert in den Evangelien und erkennbar in den Lebensgeschichten glaubender Menschen, können wir ablesen, wie das gehen kann. Und was wir daran tun können. Und Gott lässt uns in dieser Welt nicht allein - damals vor 2000 Jahren nicht und nicht heute.
Gott ist mit uns auf diesem Weg. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!